am 22. November 2019 in Dießen am Ammersee
Claus-Peter Reisch spricht im Dießener Traidkasten über Seenotrettung / Auf Einladung der Ammersee-Gruppe von Amnesty International
Es wurde sehr still im vollbesetzten Traidkasten in Dießen, als die letzten Bilder seines Vortrages über die Leinwand liefen. Einige Zuhörer hatten Tränen in den Augen. Die Beklemmung war greifbar. Claus-Peter Reisch war am 22. November auf Einladung der Ammersee-Gruppe von Amnesty International nach Dießen gekommen, um einen Vortrag über Seenotrettung als Menschenrecht zu halten. Rund 160 Zuhörerinnen und Zuhörer waren gekommen, um den Landsberger Kapitän zahlreicher Rettungsmissionen im Mittelmeer zu erleben.
„Ich muss Sie warnen“, sagte Reisch am Ende seines Vortrages, „die Bilder, die Sie jetzt sehen, gehen unter die Haut.“ Die wackelnde Helmkamera eines Retters zeigt einen jungen Mann, der sich weinend und mit letzter Kraft an das riesige Ruderblatt eines Containerschiffes klammert. Bevor er abrutscht, können die Helfer ihn in ein Rettungsboot ziehen. Die nächste Sequenz zeigt die Trümmer eines Schlauchbootes. Die Kamera schwenkt über Reste aus Holzplanken, Plastiktüten und Kleidungsstücken, die sich im Wellengang wiegen, mittendrin treibt auch der Leichnam einer Frau. Neben ihr ist ein totes Baby im Wasser zu erkennen. Die Bilder, aufgenommen von verschiedenen Rettungsorganisationen, sind schwer zu ertragen. Sie zeigen Situationen, die auch Reisch erlebt hat und die ihn antreiben, Menschenleben vor dem Ertrinken zu retten.
Bekannt wurde Reisch durch seine Rettungsmissionen mit dem Schiff „Lifeline“ und seine Verhaftung im Juni 2018 auf Malta, nachdem er 230 Menschen aus Seenot gerettet hatte. Erst im August dieses Jahres konnte er mit dem Schiff „Eleonore“ 104 Menschen in buchstäblich letzter Sekunde rund 50 Kilometer vor der lybischen Küste aus einem sinkenden Schlauchboot retten. Bei seinem Vortrag zeigte er die Bilder von seinem vollkommen überfüllten Schiff, mit dem er tagelang versuchte, in einen sichereren Hafen zu gelangen, was ihm und seiner Crew mehrfach verweigert wurde. Erst als nach einem stürmischen Gewitter auf See, die Situation der völlig unterkühlten und entkräfteten Menschen an Bord nicht mehr zu verantworten war, rief Reisch den Notfall aus und steuerte gegen alle Widerstände den nächsten italienischen Hafen auf Sizilien an. Auch hier versuchten ihn die Behörden bis zuletzt am Anlaufen zu hindern und untersagten ihm die Hafeneinfahrt, obwohl die Verteilung der Geflüchteten unter den Aufnahmestaaten bereits geregelt war. Auch hier wurde Reisch festgesetzt, das Schiff beschlagnahmt. „Auf meinem Schreibtisch liegt ein italienischer Strafbefehl über 300.000 Euro“, so der Kapitän. Er geht juristisch gegen diese Strafe vor, bittet aber um Spenden, falls er vor Gericht scheitert und die Summe doch noch zahlen muss.
An diesem Abend wird einmal mehr klar, dass es private Helfer wie Claus-Peter Reisch sind, die ungeachtet der persönlichen und finanziellen Risiken, alles dafür tun, um Menschenleben im Mittelmeer zu retten. Eine schöne Geste beendet den beeindruckenden Vortrag des Kapitäns. Sieben Jugendliche aus Somalia, die ebenfalls über das Mittelmeer in Schlauchbooten flüchten mussten und nun in Bayern leben, waren gekommen, um Reisch auf der Bühne für seinen Einsatz zu danken. Das Strahlen im Gesicht des sonst so ernsten Kapitäns verrät seine Freude. „Macht was draus“, raunt er ihnen zu. „Nutzt eure Chance“.
(Autor: Thorsten Pütsch)